Von den Widersprüchen zu den Möglichkeiten in Beratung und Therapie
Der Block »Therapie und Beratung« im Rahmen der Ferienuni wird von der AG Berufspraxis der Assoziation Kritische Psychologie organisiert. Die AG Berufspraxis ist ein Zusammenschluss von Studierenden und ehemalig Studierenden der Kritischen Psychologie mit dem Ziel den Stand kritisch-psychologischer Theorie zu den Themenkomplexen Beratung, Therapie und psychisches Leiden weiter zu entwickeln. Ausgangspunkt unserer Arbeit war die geteilte Erfahrung, dass praxisorientierte Diskussionen um mögliche emanzipatorische Potenziale von therapeutischer und beraterischer Tätigkeit im Studium Kritischer Psychologie an der FU Berlin nur unzureichend organisiert und angeboten wurden.
Einerseits ermöglichte uns das Kritische Psychologie Studium eine kritische Auseinandersetzung mit traditionellen bzw. mainstream-psychologischen Theorien und Behandlungspraxen, in denen psychische Probleme und ihre Genese stets ohne fundierten Bezug zu den gesellschaftlichen Bedingungen analysiert und konzeptionalisiert werden. Die diesen Theorien immanente Psychologisierung, Pathologisierung und Individualisierung psychologischer Fragestellungen verschleiert den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und subjektivem Erleben und führt zu einer Entpolitisierung des gesamten Diskurses um psychisches Leiden. Aus kritisch-psychologischer Perspektive dagegen müsste dieser Diskurs immer auch die Notwendigkeit zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse beinhalten, unter denen Menschen (u.a. auch psychisch) leiden.
Andererseits bietet es zu wenig konkrete Orientierungshilfen, um in unterschiedlichen institutionellen Settings Kriterien an der Hand zu haben für eine beraterische und therapeutische Praxis, die mehr kann als psychisches Leiden zu individualisieren und zu verwalten.
Die relativ offene Fragestellung – Welche Probleme und Möglichkeiten bieten Beratung und Therapie angesichts unterschiedlicher gesellschaftlicher Realitäten wie bspw. Arbeitslosigkeit, geschlechtsspezifischer Gewalt und unterschiedlicher Ausgrenzungserfahrungen? – gilt es in Bezug auf konkrete Tätigkeitsfelder und unterschiedliche therapeutische Ansätze zu spezifizieren. Die Frage, welches Handeln in welchen therapeutisch beraterischen Tätigkeitsfeldern aus kritisch-psychologischer Perspektive überhaupt sinnvoll sein kann, ist ohne die Analyse der jeweiligen institutionellen Arbeitsbedingungen, der psycho-sozialen Thematiken und deren Bezug zu den gesellschaftlichen Bedingungen, die die jeweiligen subjektiven Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen der Akteure strukturieren, nicht zu beantworten. Die Tätigkeitsfelder von Psycholog_innen in diesem Bereich reichen von selbstständig arbeitenden Psycholog_innen ohne Kassenzulassung über niedergelassene Psychotherapeut_innen mit Approbation zu im Rahmen von Krankenhäusern oder Beratungsstellen psychologisch Tätigen.
Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit möglichen Widersprüchen, die sich aus dem Spannungsfeld zwischen therapeutischer Expertise und dem jeweiligen Subjektstandpunkt ergeben. Den Expert_innenstatus, der den Therapeut_innen im hegemonialen Diskurs zugeschrieben wird, gilt es genauso zu hinterfragen wie den Umstand, dass der Subjektstandpunkt der Betroffenen in therapeutischer und beraterischer Praxis häufig negiert wird. Therapeutisch beraterische Expertise müsste aus subjektwissenschaftlicher Sicht also den Standpunkt der Betroffenen einschließen.
Das Ziel der Auseinandersetzung aus kritisch-psychologischer Sicht kann nicht darin bestehen, einen allgemeinen Therapieleitfaden zu entwickeln oder gar den bereits sehr zahlreich bestehenden Therapieschulen noch eine weitere hinzuzufügen. Es geht vielmehr darum, den Diskurs über psychisches Leiden, therapeutisches Handeln, therapeutische Haltung und Beziehung auf einer gesellschaftskritischen und subjektwissenschaftlichen Ebene transparent zu führen und mögliche Veränderungsperspektiven innerhalb kooperativer Praxisforschung zu erarbeiten.