Der Arbeitsbereich Subjektwissenschaft und Kritische Psychologie an der FU Berlin lädt in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für subjektwissenschaftliche Forschung und Praxis zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung ein:
Dr. rer. nat. Burkhard Wiebel und Dr. phil. Vanessa Lux: Subjektwissenschaft und Hirnforschung
Samstag, 14. Mai 2011, 19.00 Uhr FU Berlin, Silberlaube, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin, Raum KL 25 / 134
Burkhard Wiebel und Vanessa Lux haben dem Arbeitsbereich zur Einstimmung folgende Texte zukommen lassen, die eine interessante Debatte erwarten lassen können:
Burkhard Wiebel
Subjektwissenschaft und Hirnforschung – Mechanismen psychosozialer Dekonstruktion im Neoliberalismus
„Die Kontrolle der Gesellschaft über die Individuen vollzieht sich nicht nur durch das Bewusstsein oder die Ideologie, sondern auch im Körper und mit dem Körper. Für die kapitalistische Gesellschaft ist es die Biopolitik, die vor allem zählt, das Biologische, Somatische, Körperliche.“ (Foucault, 1977, S. 210) Psychische Faktoren und gesellschaftliche Verhältnisse stehen in einem engen Zusammenhang. Insbesondere der Stand der Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse in einer Gesellschaft haben Indikatorfunktion für die Art psychischer Dispositionen und psychischer Belastungen sowie die Qualität und Quantität psychischer Störungen, die in einer Gesellschaft beobachtet werden. Doch der Mensch steht nicht nur unter jeweils gegebenen Bedingungen, ist nicht nur Objekt, sondern auch zugleich Subjekt, das die Bedingungen, unter denen es lebt, selbst produziert (vgl. Holzkamp, 1987), und zwar in ständigem Zusammenschluss und Austausch mit anderen, sprich als „Beziehungswesen“, eingebettet in ein strukturierendes soziokulturelles System.
In dem vorgesehenen Beitrag soll eine Verbindung zwischen Subjektwissenschaft und Hirnforschung auf kategorialer Ebene versucht werden. Im Ansatz soll dadurch ein tieferer Einblick in Mechanismen psychosozialer Dekonstruktion im Neoliberalismus ermöglicht werden. Neurobiologische Mechanismen der Destruktion in den neuronalen Netzwerken des Gehirns wirken z.B. bei Menschen im Hartz IV – Bezug, mit potenziell generationenübergreifenden Auswirkungen, im Sinne der Produktion der „Überflüssigen“. Aber auch neurobiologische Mechanismen der Konstruktion in den neuronalen Netzwerken sind wirksam, wenn es z.B. über die Schaffung neuer Ausbildungs- und Studienverhältnisse (z.B. die dualen Studiengänge nach den Bologna-Kriterien) darum geht, sich dem Ideal des „Neuen Menschentyps“ nach Peter Hartz (vgl. Haug. 2003) zu nähern.
Vanessa Lux
Physiologischer Reduktionismus als methodologische Grundbedingung neurokognitiver Forschung
Die Vermittlung zwischen dem psychischen Erleben und seinen physiologischen Grundlagen hat die Psychologie seit ihrer Begründung als eigenständige wissenschaftliche Disziplin beschäftigt. Insbesondere bildgebende Verfahren aus der Hirnforschung warten nun neuerdings mit dem Versprechen auf, wesentliches zur Lösung dieser Fragestellung beizutragen – und entsprechend boomt die Präsenz von Magentresonanztomographen und Neurowissenschaftlern an psychologischen Instituten. Die Verwendung von Verfahren aus der Hirnforschung für die Erforschung des Psychischen reduziert dieses jedoch notwendig auf neurophysiologisch messbare Korrelate. Dieser methodologisch begründete physiologische Reduktionismus ist nicht neu. Eine besondere Bedeutung erlangt er allerdings dadurch, dass er sich ein in eine derzeit zu beobachtende Verschiebung im biologischen Determinismus einfügt: weg vom genetischen hin zum physiologischen Determinismus. Das dem physiologischen Determinismus zugrunde liegende Menschenbild entspricht dabei nicht zufällig demjenigen des neoliberalen Aktivierungsparadigmas – dem „Fördern und Fordern“ des Dritten Wegs.
Aus der Perspektive einer sich materialistisch verstehenden Subjektwissenschaft kann die Erforschung der physiologischen Ebene allerdings nicht einfach als Biologismus zurückgewiesen werden. Vielmehr bedarf es einer Gegenstands- und Verhältnisbestimmung zwischen der neurophysiologischen Forschung und einer sich transdisziplinär verstehenden Subjektwis- senschaft. Diese ist auch Voraussetzung, um die Bedeutung von Ergebnis aus der Hirnforschung für eine Diskussion über die subjektiven Folgen kapitalistischer Vergesellschaftung sinnvoll führen zu können.
Dr. Vanessa Lux arbeitet im Forschungsprojekt „Kulturelle Faktoren der Vererbung“ am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin; sie Lehrbeauftragte an der Hochschule Stendal; in Kürze erscheint ihr Buch „Bedeutung der Entwicklungen in der modernen Genetik für die psychologische Praxis: Krankheitskonzepte, Rezeptionsweisen und Weiterbildung“
Dr. Burkhard Wiebel arbeitet in der Abteilung Psychologische Medizin des Evangelischen Krankenhaus Lütgendortmund; er ist Lehrbeauftragter an der Universität Bochum und Mitherausgeber des in Kürze erscheinenden Buches „Mechanismen psychosozialer Zerstörung. Neoliberales Herrschaftsdenken, Stressfaktoren der Prekarität, Widerstand“