Prekarisierung, Psyche und Perspektiven erweiterter Handlungsfähigkeit
Von Mario Candeias
1. Die neue ›Normalität‹
Seit kurzem ist ›das Prekariat‹ endlich auch in Politik und Medien angekommen. Nachdem es lange nur ein unsichtbares Schattendasein als ›Nicht-Klasse an sich‹ geführt hat, von sich selbst nichts zu wissen schien, nur in linken Diskursen herum geisterte und hier und da in den französischen Vorstädten auftauchte, ist es nun ans Licht gezerrt worden. Das Prekariat, das sind die ›Abgehängten‹, das ist die ›Unterschicht‹, derer man sich annehmen muss, meint der wohlmeinende Sozialdemokrat. Der weniger Wohlmeinende will davon nichts wissen, eine Unterschicht gebe es nicht und Klassenunterschiede, die gibt es nur bei PISA.
Zwischen Anpassung und Selbstermächtigung durch Widerstand
Basis des Workshops werden meine (und hoffentlich auch eure) eigenen Praxis-Erfahrungen und deren Widersprüchlichkeiten bilden. Von der „klassischen“ Jugendarbeit zur Begleitung/Beratung bei rechtlichen Fragen bis hin zu politischer Bildung mit „bildungs-und politikfernen“ (dieser Begriff sollte auch kritisch diskutiert werden) Migrantenjugendlichen. Diskussionsgrundlage werden unter anderem auch kurze Videoausschnitte aus der Praxis sein. Außerdem wird der Workshop von Christian Ernst vom PAS (Politischer Arbeitskreis Schulen) unterstützt.
Von Martin Fries
Thesen zum Workshop »Kategorien in der Kritischen Psychologie« (Do, 14:30 Uhr) bei der Ferienuni Kritische Psychologie 2010, 24.-28.8.2010, FU Berlin, Download als PDF
Weiterlesen »
… in Form von 43 Fußnoten
Von Morus Markard
(zur Diskussion auf der Ferienuni Kritische Psychologie: „Kategorien der Kritischen Psychologie“, 26.08.2010. Also: der Text ist von Stefan Meretz, eingereicht am 19.08.; die Fußnoten stammen von mir, MM; sie sollen der Vorbereitung der Diskussion dienen)
Jenseits von Personifikation und Personalisierung
Von Stefan Meretz
Thesen zum Workshop »Kategorien in der Kritischen Psychologie« (Do, 14:30 Uhr) bei der Ferienuni Kritische Psychologie 2010, 24.-28.8.2010, FU Berlin, Download als PDF
(1) Mit der Kritischen Psychologie haben wir den seltenen Fall einer emanzipatorischen Theorie, die nicht nur ihren bürgerlichen Counterpart kritisiert, sondern auch eine eigene »positive« Theorie konstituiert. Dialektisch gesprochen: statt bloß einfacher Negation, doppelte Negation. Dies gilt sowohl für die im engeren Sinne kritisch-psychologischen Begriffe wie für die gesellschaftstheoretischen Grundlagen, auf denen diese fußen. In der Entstehungszeit, den 70er und 80er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts, war der »positive« gesellschaftstheoretische wie praktische Bezug gegeben: Es war der Mainstream-Marxismus in Theorie und Praxis der realsozialistischen Staaten.
Im mainstream der Sozialen Arbeit wird diskutiert, ob die Soziale Arbeit eine unterstützende Aufgabe im Hinblick auf Bildung hat, oder ob sie sich im Sinne informellen Lernens selbst als Bildungsakteur verstehen kann. Für eine emanzipatorische, politisch bewusste Sozialarbeit sind beide Positionen ungenügend. Die wichtigen Fragen sind: wie können sich an den gesellschaftlichen Widersprüchen Lernmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit entzünden, die der Bildung der Subjekte förderlich sind? Welche Perspektiven haben die Professionellen in der Sozialen Arbeit dabei? Und: was macht der Zahn ohne Tiger? oder: Praxis ohne soziale Bewegungen?
In dem workshop möchte Ariane Brennsell Ansatzpunkte einer „psychologischen“ – oder vielleicht besser „psychosozialen“ – Arbeit vorstellen, die durch die Kritische Psychologie, durch feministische und gesellschaftskritische Theorien motiviert ist. These des workshops ist es, dass eine solche Arbeit immer versuchen muss, die verschiedenen gesellschaftlichen – individuellen und politischen – Ebenen im Alltag zusammen zu bringen. Wie kann das in der Arbeit gegen sexuelle Gewalt aussehen? Was sind Anforderungen und Probleme?
Themenblock: »Praxis«
Referent_innen: Christina Kaindl, Sandra Jankowski
Tag/Zeit: Freitag, 27.8.2010, 17:00–18:00 Uhr
Grundlagen und praktische Erfahrungen
Der Workshop diskutiert an zwei grundlegenden Texten den Zugang der Kritischen Psychologie zu Praxisanalysen und dem Theorie-Praxis-Problem.
Literatur:
Markard, Morus & Holzkamp, Klaus (1989): Praxis-Portrait – Ein Leitfaden zur Analyse psychologischer Berufstätigkeit. In: Forum Kritische Psychologie 23, 5-49
Kaindl, Christina & Markard, Morus (2000): Das Ausbildungsprojekt „Subjektwissenschaftliche Berufspraxis“ – theoretische, methodische und organisatorische Aspekte studentischer Praxisforschung. In: Markard, Morus und Projekt ASB (2000): Weder Mainstream noch Psychoboom. Kritische Psychologie und studentische Praxisforschung. Konzepte und Erfahrungen des Ausbildungsprojekts. ”Subjektwissenschaftliche Berufspraxis” an der Freien Universität Berlin. Hamburg: Argument, S. 29-43. Download (PDF).
Themenblock: »Gesellschaftstheorie«
Referent_in: Frieder Otto Wolf
Tag/Zeit: Donnerstag, 26.8.2010, 14:30–15:30 Uhr
Marx‘ Theorie wird vielfach als ökonomische Strukturtheorie der Gesellschaft rezipiert, welche dann durch eine ergänzende Psychologie komplettiert werden soll, wobei sich dann überwiegend die Psychoanalyse sich wegen ihrer kritischen Aspekte besonders angeboten hat. Diese Art von Arbeitsteilung geht jedoch an der eigentümlichen Struktur der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie vorbei, in der sowohl die »gesellschaftlichen Denkformen« der Individuen, als auch die Herausbildung kollektiver Subjektivität und Handlungsfähigkeit eine zentrale Rolle spielen — und zwar bereits vor allen derartigen Ergänzungsversuchen.
Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass nicht nur pragmatisch, sondern auch gegenstandsbezogen (nicht »omnihistorisch« oder »ontologisch«), aber doch innerhalb und außerhalb der von Marx theoretisch rekonstruierten Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise eine wissenschaftliche Untersuchung individueller und kollektiver Subjektivitäten arbeitsteilig zu entwickeln ist, die nicht mit der Rekonstruktion und Weiterentwicklung der Kritik der politischen Ökonomie zusammenfallen kann — weil sie sich sowohl auf andere Herrschaftsverhältnisse (in direktem Bezug auf Sexualität und »Identitäten«) als auch auf die humanbiologischen Voraussetzungen menschlicher Subjektivitäten spezifisch beziehen muss. Ohne die hier zu führenden schwierigen Untersuchungen vorwegzunehmen, lassen sich gegenwärtig in dieser Hinsicht immerhin Kriterien formulieren, denen eine arbeitsteilige Untersuchung des Feldes dieser Prozesse entsprechen muss, um nicht hinter die wissenschaftlichen Durchbrüche von Marx und Freud zurückzufallen.
Im Workshop sollen vor allem noch einmal diejenigen Momente in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie untersucht werden, die als Grundlage zur Formulierung derartiger Kriterien dienen können.
Themenblock: »Gesellschaftstheorie«
Referent_in: Tove Soiland
Tag/Zeit: Mittwoch, 25.8.2010, 17:30–18:00 Uhr
Im Workshop soll nach Leerstellen im Diskurs der Kritik der Zweigeschlechtlichkeit gefragt werden: wie werden soziale Ungleichheiten darin sichtbar? Finden sich Anschlussstellen in den Identitätskonzeptionen der queer theory zu neoliberalen Anrufungen?
Text zur Vorbereitung: ‚Gender‘: Kontingente theoretische Grundlagen und ihre politischen Implikationen (PDF)